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Was für ein Spektrum

Andrea Frevel

Die Unwetter und Überschwemmungen in vielen Teilen Europas haben alle mitbekommen. Auch Wien war am vergangenen Wochenende stark betroffen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich nicht nur Zuschauerin über die Medien, sondern tatsächlich mittendrin. Gott sei Dank nur in ganz kleinem Ausmaß! In Teilen von Wien gab es über gewisse Zeit keinen Strom. Mein Wohnblock war für knapp 24 Stunden betroffen. Das komplette Beheben des Problems hat insgesamt 36 Stunden gedauert. Wir hatten die ganze Zeit (kaltes) fließendes Wasser und die Wohnungen waren warm und trocken – nur eben kein Strom (Licht, Herd, Ofen, Wasserkocher, Internet, Lift …). Also alles halb so wild. Viele andere sind nicht so glimpflich davongekommen.


Ereignisse wie diese berühren mich immer sehr. In diesem Fall noch mehr, aufgrund der Nähe zu den Geschehnissen und als echte Augenzeugin. Einsatzkräfte, die unermüdlich arbeiten, um ihre Mitmenschen zu schützen oder gar zu retten. Die ohne Pause tagelang weitermachen, teilweise ohne richtig zu essen. Und zwar nicht immer, um direkt Leben zu retten, sondern auch, um Keller und Garagen auszupumpen – also fremdes Eigentum zu schützen. Um Ufer abzusperren – eigentlich erstaunlich, dass es nötig ist, Menschen davon abzuhalten, sich in die Nähe eines reißenden, völlig überfluteten Gewässers zu begeben. Wir Menschen sind wirklich seltsam.


Aber auch Privatpersonen, die hier in Wien und Umgebung ohne Unterlass Schwalben eingesammelt haben. Schwalben, die von dem Kälteeinbruch überrascht wurden, bevor sie in den Süden ziehen konnten. Unzählige der kleinen Vögel wurden entkräftet und unterkühlt eingesammelt und in Wildtierstationen gebracht. Leider sind auch sehr viele gestorben. Ich habe ein großes Vogelherz und liebe Schwalben ganz besonders. Das Schicksal dieser wunderbaren Tiere macht mich sehr traurig.


All diese Menschen, ihr Engagement, ihre Bereitschaft, sich für andere einzusetzen, egal ob es für sie selbst schwierig ist – vielleicht sogar gefährlich – beeindrucken mich tief. Ich habe große Hochachtung vor so viel Mut, ihrem Durchhaltevermögen und ihrer Loyalität gegenüber ihren eigenen Werten.


Am Sonntagnachmittag bin ich dann dem anderen Ende des Spektrums begegnet. Ich wollte mir in einem anderen Bezirk – mit Strom – etwas Heißes zum Trinken besorgen. Denn mit Teelichtern kann man zwar Wasser etwas erwärmen (funktioniert besser als gedacht), aber keinen heißen Kakao machen. Und den hatte ich nach vier Tagen Dauerregen und bereits 12 Stunden ohne Strom wirklich nötig. Jedenfalls bin ich völlig unvorbereitet mit der Dame in der Bäckerei aneinandergeraten. Der Kakao war nämlich nicht mal lauwarm, geschweige denn heiß. Ich bat sie mehrmals freundlich, mir das Getränk doch nochmals zu erwärmen. Um es kurz zu machen: Es war ihr anscheinend nicht möglich, die Milch zu erhitzen. Aber anstatt gemeinsam zu überlegen, wie wir damit umgehen, blaffte sie mich an: So würde sie nicht mit sich reden lassen! Nanu! Mein Versuch, ihr zu erklären, dass ich doch nur ein heißes Heißgetränk haben möchte, ist kläglich gescheitert. Ich kann durchaus unangenehm werden, in diesem Fall war ich aber besonders bemüht, freundlich zu bleiben, weil die Ereignisse der letzten Tage mir noch in den Knochen saßen. Aber ich konnte keinen einzigen Satz mehr zu Ende sprechen.


Ist es nicht interessant, wie es Menschen gibt, die ihr Leben für andere aufs Spiel setzen, ohne mit der Wimper zu zucken, und nur ein paar Straßen weiter schafft es ein anderer Mensch nicht, seinem Gegenüber das Wort zu gönnen. Was für ein Spektrum!

Zu welchen Menschen gehörst du? Natürlich gibt es zwischen Schwarz und Weiß gaaaaanz viel Grau. Und niemand ist immer nur das eine oder das andere, das ist klar! Wie oft schaffst du es, dein Leben und deine Entscheidungen wirklich nach deinen Werten auszurichten? Kennst du überhaupt deine eigenen Werte? Könntest du mir deine Top Drei nennen?

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